Schlaf & Übergewicht: Wie die innere Uhr unser Gewicht beeinflusst
Einleitung: Warum der Chronotyp für die Gewichtskontrolle relevant ist
Ob ein Mensch eher Frühaufsteher (Morgentyp) oder Nachteule (Abendtyp) ist, beschreibt sein sogenannter Chronotyp. Dieser Begriff bezieht sich auf die individuell bevorzugten Zeiten für Aktivität, Schlaf und Nahrungsaufnahme. Neuere Studien legen nahe, dass der Chronotyp nicht nur das tägliche Verhalten beeinflusst, sondern auch eine wichtige Rolle für die körperliche Gesundheit spielt. Besonders der Abendtyp steht im Verdacht, ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Adipositas zu haben. Eine systematische Übersichtsarbeit von Erim & Sert (2023) [1] fasst die wissenschaftliche Evidenz zu diesem Zusammenhang zusammen.

Methodik: Systematische Analyse internationaler Studien
Für die Übersichtsarbeit durchsuchten die Autorinnen acht renommierte Datenbanken – darunter PubMed, Scopus, Cochrane Library und MEDLINE Complete – nach Studien, die zwischen Januar 2010 und Dezember 2020 erschienen. Sie bewerteten die Qualität der Studien mit dem „Quality Assessment Tool for Quantitative Studies“. Letztlich erfüllten sieben Studien die Einschlusskriterien: eine mit hoher Qualität, sechs mit mittlerer Qualität. Ziel war es, den Zusammenhang zwischen Chronotyp, Essverhalten, metabolischen Parametern und Gewichtsverlauf objektiv zu bewerten.
Abendtypen zeigen ungünstigere Stoffwechselprofile
Die Ergebnisse der Studien sprechen eine deutliche Sprache: Menschen mit Abendchronotyp haben ein signifikant höheres Risiko für metabolische Dysbalancen. So zeigen sie häufig:
- einen höheren Body-Mass-Index (BMI)
- erhöhte Plasma-Ghrelin-Werte, was das Hungergefühl verstärkt
- einen erhöhten HOMA-Wert (Hinweis auf Insulinresistenz)
Diese Parameter deuten auf eine gestörte Stoffwechselregulation hin, die langfristig zu Übergewicht oder Typ-2-Diabetes führen kann. Daher ist der Chronotyp ein möglicher Risikofaktor, der in der Prävention und Behandlung von Adipositas beachtet werden sollte.
Genetik: Ungünstige Varianten bei Abendtypen häufiger vertreten
Auch genetische Faktoren spielen eine Rolle. Bei Personen mit Abendchronotyp treten bestimmte genetische Varianten häufiger auf – insbesondere das minor allele (C) und Varianten im SIRT1-CLOCK-Genkomplex. Diese Gene regulieren nicht nur den circadianen Rhythmus, sondern auch den Energiehaushalt und die Lipidverwertung. Deswegen entwickeln Abendtypen tendenziell eine größere Resistenz gegenüber Gewichtsabnahme. Die systematische Auswertung zeigt, dass sie schlechter auf konventionelle Diätmaßnahmen ansprechen und weniger erfolgreich Gewicht verlieren.
Essverhalten und Lebensstil: Mehr ungesunde Gewohnheiten bei Abendtypen
Neben biologischen Ursachen identifizierten die Studien auch verhaltensbezogene Risikofaktoren. Abendtypen neigen dazu:
- Hauptmahlzeiten spät am Abend einzunehmen
- ungesündere Lebensmittel zu konsumieren
- weniger regelmäßig zu essen
- weniger körperlich aktiv zu sein
Diese Verhaltensweisen stehen in direktem Zusammenhang mit Gewichtszunahme. Aus diesem Grund verlieren Abendtypen, die ihre Hauptmahlzeit spät einnehmen, nachweislich weniger Gewicht als Morgentypen. Besonders relevant ist das für therapeutische Programme, die auf Kalorienrestriktion setzen – sie sind bei Abendtypen oft weniger effektiv.
Chronotyp-basierte Ernährung als neue Behandlungsstrategie
Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Übersichtsarbeit ist die Wirksamkeit einer chronotyp-adaptierten Diät. Studien zeigten, dass solche Konzepte – bei denen die Nahrungsaufnahme an die biologische Uhr angepasst wird – bessere Ergebnisse liefern als klassische hypokalorische Diäten. Morgentypen profitieren tendenziell von früher Essensaufnahme und längeren nächtlichen Fastenphasen. Für Abendtypen kann eine strukturierte Umstellung hin zu früheren, regelmäßigen Mahlzeiten hilfreich sein, um metabolische Vorteile zu erzielen.
Weniger Erfolg bei bariatrischer Chirurgie bei Abendtypen
Selbst bei extremen Maßnahmen wie der bariatrischen Chirurgie beeinflusst der Chronotyp den Erfolg. Laut der systematischen Analyse verlieren Abendtypen nach einem chirurgischen Eingriff im Durchschnitt weniger Gewicht als Morgentypen. Dies lässt sich durch schlechtere Anpassung an neue Essgewohnheiten und geringere Therapieadhärenz erklären. Daher empfiehlt es sich, bei der Indikationsstellung sowie bei der Nachsorge von bariatrischen Eingriffen den Chronotyp zu berücksichtigen.
Langfristige Gewichtskontrolle fällt Abendtypen schwerer
Auch über einen längeren Zeitraum zeigen sich Unterschiede: Abendtypen gelingt es deutlich seltener, ihr Körpergewicht langfristig zu kontrollieren oder wiederholte Gewichtszunahme zu vermeiden. Die Gründe liegen in einer Kombination aus biologischer Prädisposition, hormoneller Regulation und verhaltensbezogenen Faktoren. Diese Erkenntnis ist für Fachkräfte im Gesundheitswesen entscheidend, um Rückfällen vorzubeugen und die Betreuung gezielter zu gestalten.
Empfehlungen für die Praxis
Die Studienlage belegt eindeutig: Der Chronotyp ist mehr als ein Lifestyle-Faktor – er hat direkten Einfluss auf Stoffwechsel, Essverhalten und Therapieerfolg. Folgende Empfehlungen lassen sich aus der Übersicht ableiten:
- Der Chronotyp sollte bei der Erstellung von Diät- und Bewegungsplänen berücksichtigt werden.
- Individuell angepasste Ernährungsstrategien verbessern den Therapieerfolg.
- Für Abendtypen eignen sich Programme, die bewusst frühzeitige Essenszeiten fördern.
- Chronotyp-basierte Interventionsprogramme könnten auch bei chirurgischer Adipositasbehandlung die Nachsorge verbessern.
Chronotyp als Schlüssel zur effektiven Adipositasprävention
Die systematische Übersichtsarbeit von Erim & Sert [2] liefert wertvolle Erkenntnisse zur Rolle des Chronotyps bei der Entwicklung und Behandlung von Übergewicht. Abendtypen zeigen eine ungünstigere genetische Disposition, schlechtere Stoffwechselparameter und weniger Erfolg bei Gewichtsreduktion. Klassische Diäten oder bariatrische Maßnahmen greifen bei ihnen oft weniger effektiv. Aus diesem Grund sollten künftige Ernährungskonzepte stärker an der inneren Uhr der Menschen ausgerichtet sein. Wer seine Ernährung an den individuellen Biorhythmus anpasst, steigert die Chancen auf nachhaltigen Gewichtsverlust und langfristige Gesundheit.